Dies wird ein für meine Belange extrem persönlicher Beitrag. Normalerweise schreibe ich kaum über mich selbst. Aber dieses Mal geht es nicht anders. Gerade ging durch die sozialen Netzwerke mal wieder das Thema „fat acceptance“ bzw. „fat shaming“, das sind aber natürlich zwei Seiten derselben Medaille. Und wie immer gibt es zwei Lager: die einen, die darum werben, dass auch dicke Leiber schön sind. Und die anderen, die mit Links auf Studien zur Gesundheitsgefährdung durch Übergewicht antworten. Und ich? Ich sitze dazwischen. Ich kann es schlicht nicht mehr hören und nicht mehr sehen.
Ja. Ich bin dick. Sehr dick. Ich war sogar mal wirklich wahnsinnig dick. Mein Maximal-BMI betrug vor vielen Jahren einmal knapp 52. Ich habe mit meinem verdammten Körpergewicht ständige Gefechte ausgetragen, seitdem ich denken kann. Und das heißt nicht erst seit der Pubertät. Ich und Übergewicht, das gehört zusammen. Schon immer. Seitdem ich denken kann.
Wir Dicken werden gemieden. Beleidigt. Lächerlich gemacht. In einer Zeit, in der Witze über Ausländer und Menschen mit Krankheiten oder Behinderungen (seien sie körperlich oder geistig) nicht mehr akzeptiert werden, ist es immer noch gang und gebe, über Dicke Witze zu reißen. Denn wir Dicken, wir sind nicht nur abstoßend. Wir Dicken sind schwach. Wir sind selbst schuld. Und deshalb sind wir asozial. Raucher sowie Extremsportler, die ebenfalls erhöhte Gesundheitskosten verursachen, werden vergleichsweise problemlos akzeptiert. Aber dick sein? Nein, das geht nicht an.
Ich wiederhole es: ja, ich bin dick. Je nach Definition bin ich weiterhin regelrecht fett. Ich bin, nüchtern betrachtet, immer noch im Bereich dessen, was die WHO als „adipös“ bezeichnet, auch wenn mein BMI endlich mal wieder, und das seit einigen Monaten, dauerhaft fällt, und ich derzeit von meinem Maximalwert einen mittleren zweistelligen Kilogramm-Betrag entfernt bin. Aber all die gutgemeinten Ratschläge der Dünnen, die weiterhin der Meinung sind, mich durch ihre Ratschläge auf den rechten Weg bringen zu müssen, haben in beinahe vier Jahrzehnten nichts daran geändert, dass ich dick bin. Derzeit mache ich etwas Boden gut in diesem ewigen und mein Leben bestimmenden Kampf um meinen Körper. Nein, eher: diesem Krieg. Aber gewonnen? Habe ich noch lange nicht. Und es tut mir leid, ihr selbstgerechten Dünnen da draußen mit euren „hilfreichen“ Kommentaren: ihr habt mir nicht geholfen. Verpisst euch doch endlich mal, bittedanke.
Mäßiges Übergewicht ist lästig, aber spätestens Adipositas ist eine Krankheit. Ein Mensch mit Adipositas ist letztlich also eigentlich nicht anders als einer mit Zucker oder einer Autoimmun-Krankheit oder einer Körper-Behinderung. Nur dass sich Zuckerkranke normalerweise nicht ständig gut gemeinte Ratschläge anhören müssen. „Du weißt aber, dass das ungesund ist, oder? Nun friss doch mal nicht so viel, dann nimmst du von allein ab.“ Ja genau. Das musste ich hören. Da wäre ich ja nie drauf gekommen.
Da ist es egal, dass man grad monatelang Grünzeug gefressen und tatsächlich vielleicht kürzlich 10 Kilo abgenommen hat. Oder 20. Oder sogar 25. Man ist halt immer noch fett. Und wenn man einen Menschen des anderen Geschlechts attraktiv findet, kommt zu der normalen Nervosität noch eine ganz eigene Ebene des Grauens hinzu. Wer einmal einen Gesichtsausdruck unverhüllten und echten Ekels im Gesichtsausdruck eines anderen Menschen bezüglich der eigenen Person gesehen hat, vergisst das nie.
Beinahe vier Jahrzehnte ungebetene Kommentare über meine Figur. Über meinen Körper. Über mich. Erst zu meinen Eltern, dann direkt zu mir. Mein ganzes verdammtes Leben ist mein Körper Projektionsfläche der Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit meiner Umwelt gewesen. Das Ziel von Ärzten, die mir die „Neuigkeit“ beibringen wollen, dass mein Übergewicht ungesund sei. Das Ziel von perfider Werbung, die mir ständig sagt, wie abstoßend ich eigentlich bin, wenn ich nicht so bin wie der Rest. Oder das Ziel von Zeitungskolumnen, die mich schwach nennen oder wahlweise als arbeitslosen Sozialschmarotzer abstempeln.
Beinahe vier Lebensjahrzehnte, davon gute zweieinhalb seit der Pubertät. 25 Jahre, in denen ich so dermaßen gründlich verinnerlicht habe, dass ein Mensch des anderen Geschlechts mich nicht mal für Geld freiwillig mal anfassen würde, dass selbst ein ganzes Rudel hochbezahlter Therapeuten die Scherben meines Egos nie wieder ganz zusammenkleben könnte. 25 Jahre voller Einsamkeit, voller Scham, Schuldgefühle und Depressionen.
Dieses Gefühl, dass das eigene Aussehen nichts als Freiwild für die moralische Überheblichkeit der Allgemeinheit ist, kennen vor allem zwei Gruppen in unserer Gesellschaft: Frauen... und wir Dicken. Ich habe dabei übrigens noch Glück, denn ich bin „nur“ ein dicker Mann. Dicke Männer sind beinahe akzeptiert. Naja, beinahe. Also, solange es nicht um Sex oder so etwas geht. Sex mit Dicken, das geht natürlich wieder nicht. Igitt.
Und so höre ich also bis heute! diese wohlgemeinten Kommentare meiner dünnen Mitmenschen. Nun friss halt nicht soviel. Jetzt nimm doch endlich mal ab. Letztens erst, ich laufe jetzt übrigens seit knapp einem dreiviertel Jahr eine Strecke von 6-8 Kilometern (und zwar jeden einzelnen verdammten Tag), meinte auf meiner Abendrunde, bei Kilometer 7 glaube ich war das, ein (natürlich dünner) älterer Passant, mich spontan darüber aufklären zu müssen, dass ich ja wohl ziemlich fett sei. Ich solle doch mal endlich weniger fressen. Dann ginge das mit dem Abnehmen auch von ganz allein. Ach echt? Vielen Dank, ich wäre da niemals drauf gekommen.
Und nun kocht also mal wieder die „fat acceptance“ als Thema hoch, und ausgerechnet so ein Arschloch (Verzeihung) von einem Psychologen(!) in meiner Twitter-Timeline meint, der Welt im Allgemeinen durch Links erklären zu müssen, wie ungesund Dicksein doch ist. Andere schicken dann die üblichen Links zurück, in denen die Lebenserwartung der Dicken sogar als erhöht berechnet wird. Aber wisst ihr was? So ganz ehrlich? Ihr seid alle verdammtes Pack. Ihr könnt mich alle mal kreuzweise. Echt. Ihr seid selbstgerechte Arschlöcher, und zwar alle miteinander.
„Fat acceptance“ meint meiner Meinung nach eben nicht die Glorifizierung von Übergewicht als neuem Schönheitsideal. Darum geht es gar nicht. Es weiß doch eh jeder mit mehr als zwei Gehirnzellen, dass Übergewicht spätestens in extremer Form nicht gerade gesund ist. Es ist eine andere Akzeptanz gemeint: die des verdammten Menschen in der übergroßen Haut. Und die Akzeptanz, dass Menschen wie Körperformen halt unterschiedlich sind. Platt ausgedrückt: ich bin mehr als mein Scheißbauch.
Ich bin übrigens tatsächlich nicht glücklich mit dem Begriff; man sollte es eigentlich wohl besser „diversity acceptance“ nennen. Aber genau diese Akzeptanz von Unterschiedlichkeit bleibt in einer Gesellschaft ein Wunschtraum, in der Germany's Next Topmodel weiterhin zum Standard-Kanon der Abendunterhaltung zählt. Aber erzählt mir doch gerne weiterhin, mein Gewicht sei ungesund und ich solle endlich mal weniger fressen. Ich höre das zum ersten Mal, echt.